II. Aber sie, fängst wieder neu an,

wenn ihr auch alles geheim bleibt, was sie n. tun wird in diesem Leben. Das ist wahre Zuversicht. Es gibt einen Spiegel dafür: man hält ihn vor eines anderen Gesicht, während der die Augen geschlossen hatte und er öffnete sie ganz unschuldig. Aber was sieht er dann nur, so lange er n. nichts von dem Spiegel weiß, der vor seinen geschlossenen Augen wartet? Ein zerrissenes Bild in seine Erwartungen und dem horror vacui? Was denn, wenn da nichts wäre außen drauf auf dem, was ich innen sehe? Und ohne dieses überhaupt ein Innen vorstellbar das mehr wäre, als ich jetzt wahrnehme, wo ich n. an die Maske glauben kann, die die Haut aufrechterhält. “Soweit es sich um integrierte Körperempfindungen handelt, ist die Haut lediglich die Umhüllung unseres wahren Selbst und dessen, was in uns ist. Aber in den tiefen, infantilen Schichten unseres Denkens sind wir nicht ganz sicher, ob in uns irgendetwas ist, das nicht von außen in uns hineingesteckt wurde.’ ” Sagen ein paar Psychologen um 1927 in dem Buch der Jungen Frau Mahler, so, daß ich nicht mehr wissen will, ist dieses Körperding, mit dem ich herumlaufe mein eigenes oder Zerrbild des bedrohenden Spiegels, der da wartet, immer, wohin ich auch die Augen öffne. Seht ihrs Freunde, seht ihrs nicht…

Aber sieh, fängst wieder Neues an auszuplaudern, was dich so beschäftigt, ja. Ich geh sie begleiten, kurze Wege vor das Haus, über die Straße, durch den Park zurück, ein langsames wie wenn man in der Kirche laufen gelernt hätte, steif, unentspannt, voller Sehnen und Muskelspürung. Dann will ich sie schubsen zum Aufwachen, eine spontane Reaktion hervorrufen der Beine und Gelenke, um das Gleichgewicht herauszufordern. Daß sie nicht verlernt sich aufrecht zu halten. Lasse es bleiben und dann fallen wir vielleicht beide einmal zufällig, sich am Knie zu begegnen. Das ist die alte Zeit, jenes die neue, den Schnitt führe ich gerade durch die Hälfte; wenn die Arbeit getan ist, treffen sie sich hier in der Mitte zwischen Gut und Böse. Nicht ich, du oder dieses Kalb da mit dem goldenen Horn… der erste Widder der Menschheit. Das ist abgegolten.

Also fang ich an, ihre Geschichte zu erzählen, weil sie sich alle schämen für sie: Sie hat dafür ihren Traum gehabt von langer Küste, steil ansteigendem Gefelse: wenn man richtigherum geht, rechts! da stehen wir dann oben, nur um hinab und weit zu schauen und nennen es Das Ende der Welt. Wie in einem Bild sieht das da aus vor uns, ist aber ein echter Weitblick, ohne Rand rechts oder links, n. oben/unten nur das blauweiße Himmelsband auf blaudunkles (September) Wassermeer abgelegt. Wir haben eine Sanddornhecke durchbrochen, und schon wissen wir nicht mehr, wie es davor war, keine Hecke natürlich, sondern wildes Gesträuch, das in die Furt ragte. Aber wir kennen den Weg und irgendwann wurde er gangbar, bevor man dort angelangt ist. In Berlin gab es einen ebensolchen stillen Flecken, Das Paradies genannt. Wenn Milton ihn so hätte anschauen müssen, wie ich es tat, in der sehnsüchtigen Verlassenheit der Stadt dort, gäbe es keine Wiedergewinnung, es müßte immer verlorenes heißen, für immer verlorenes…

Und plötzlich ist da was ich höre: ein Erwachen? Schlief ich denn schon mal? Vom kühlen Fenster ging mich die Nacht an. Ein Grund war da nicht. Nur immer man wartet, vielleicht ergibt sich was aus der schlaflos gebliebenen Dunkelheit da draußen. Doch sicher ist es nie, nicht ein Wort, auf das man sich verlassen könnte. Bastardschemen, parental gaps zwischen meinem Hirnaneinander mit dem täglich erlogenen Fortschritt; der ist gekauft, jeder neue Buchstabe will Anfang sein. Will aller Anfang Anfang sein. La Parole: aufstehen, gegen das sommermüde Blendwerk hoch, anheben ein Lid und das andere ist mir n. zugeklebt mit der Honigmilch aus paradise lost/regained und trotzdem verlorenen Büchern über Mitternacht, wenn jede Minute zählt. Nur bleiben dürfen für diese heiligen Brautnächte um die erste Erfahrung, auch über ihren Tod hinaus. Aber auch im neuen Leben, das dann beginnt… mit unfertigen Erinnerungen, die wir uns nicht zu erzählen wagen, sind wir immer nur allem Abschied voran.

Die Erzählung: sie hat eine Sabbathnacht lang mit dem Atmen aufgehört, jener schweren Arbeit, die jetzt eine Maschine für sie tat. So fühlte sie sich besser, es war keine Anstrengung mehr da, die Maschine bediente jemand anderes für sie und hatte ein waches Auge, schichtwechselnd. Als ich am Sonntag wie jeden Sonntag nach der Kirche sie besuchen ging, bemerkte ich zuerst keine Veränderung, aber ein wenig war die Anspannung von ihr gewichen, dachte ich. Bis ich sie sprechen hörte: nicht ihre Stimme, nicht mehr der gewohnte Duktus, kein Wort war wahr, wovon sie redete. Das war von einem Erdbeerfeld, wo sie arbeiten wollte, wenn alle Stricke reißen. Das war doch längst vorbei, hörst du, du mußt nicht mehr arbeiten gehen, die Hebammen der Lüfte… wenn du nur wieder gesund würdest. Ich habe ein paar Stunden für sie gebetet aber ist das im Norden angekommen, wo der große Unfall geschah? 

Ist es. Weil ich es erzählt habe, nur deshalb mußte sie mir vom Schiff springen und da ja Hier ist des Säglichen Zeit ist, wo ich mich in aller Ruhe daran erinnern kann, wie schön die regenquellenden Tagewälder grün waren, möchte keine Unruhe aufkommen über sie. Sie schlafen nur. Sie sind uns nur vorausgegangen. Alles braucht man an diesen Kräften und deshalb schone ich, was mich ernährt. Nicht in der ersten Nacht alles schon zu Ende gesehen haben, was es zu entdecken geben soll.

Dann ist’s auf einmal hell geworden unter uns. Als wenn sie angefangen hätte zu leuchten und deshalb könnte ich nichts mehr erkennen mit den nachtschwarz gewöhnten Augen auf den weißen Blättern, die hier verstreut waren. Wahrh. war ich gewöhnt, also Dunkelheit immer und Stimmen daraus, die sich ergaben. Doch plötzlich Helligkeit und klare Umgebungsgeräusche, die man unterscheiden konnte also trennen vom Hintergrund das wichtige, was gesprochen wird. Als wenn die Sinne dazugelernt hätten durch das Buch. Erklärend, wie sich die Konsonanten verhalten gegen das universale Vokalsystem. Es behielt Recht. Ich zeichnete mir die Koordinaten auf: das ging in eim Feynmandiagramm, die Ansicht war umzusetzen in die Sprache Mahlers, egal wie hundert die Jahre vergangen sind an seinem L.nam. Er würde es gehört haben, was hier auf ihn wartete zu entstehen. Ich habe die Sendung schon abgeschickt in Gedanken, doch etwas hatte mich zurückgehalten, den letzten Schnitt zu tun. Das war Glück und gelang nur so: weil es eine künstliche Atmosphäre gab um den Gegenstand, daß er mir nicht aus den Händen glitt, die nicht hafteten aneinander, füreinander, die linke für die rechte und im Spiegelbild auch nicht, wo ich sie hineinlegte. Es sollte eine Gefahr sein; und schon ist es dem Körper zuviel geworden und schreckt alles zurück: die große unfaßbare Zeit Zukunft, die sich auf einmal anfassen ließ (wie ein steifes Glied in der nicht geölten Kette.) Das herumfiebert und das Blut anschwillt zu einer von innen gespürten Größe, innen die Nerven reizend bis zur biomechanischen Kataklysme. Da mußte etwas abspringen und zerklingen Stahl auf Stahl das sich reibt die ganze Zeit, bis das Schwache nachgibt. composite III: vermute ich eine Strukturlosigkeit wie die innerhalb eines Hohlraumes im Kristall, in dem es eine freie, endlose Schwingung geben kann, ohne Richtung, Ziel oder Begrenzung und die nur sich selbst immer als Ursache hat; es verliert keine Kraft, ergänzt sich aus der Umgebung. 

Bis Johannes die Zeit gefunden hatte, seine Worte niederzuschreiben, vergingen sagen wir 80 Jahre dem Jüngstem der Hinterbliebenen. Das war ungefähr die Zeit, die es bräuchte, daß seine Enkel Enkel zeugten. Die sind nötig gewesen, um ihn des Fortbestands seiner Erzählung zu versichern. Es sollten drei Generationen darüber wachen, daß die Zeugnisse nicht gefälscht würden. Bis heute hat sich daran nichts geändert. Aber Kinder selbst hat er nicht gehabt, Johannes. Das sind seine eigenen Worte, nur jene leben fort und zeugen. Ich habe eins gehört aus seinem Mund, das war so Schall, daß man es gar nicht wiederholen kann. Nur sich erinnern… aber ohne die Möglichkeit einer Fälschung in die Welt hinaus. Also diesmal nichts verfälschen: Schreiben Sie nur von dem, was Sie kennen! 

“Ich lege mich in einen weißen Strand und bin selber dunkelndes Fabelwesen, dem großen Buch der Geheimnisse entsprungen. Wer mich dort gesehen hat am Strand, der denkt, das kennt er irgendwie. Aber dem ist nicht so, er kann mich nicht; niemand jemals, zu dem ich nicht hin und sage selbst: ,Ich kenne dich.‘ Dann kennt er auch mich.”

Nur ich bleibe das Fabelwesen und es kam jemand hinzu, der erzählen darf, was er gesehen hat, wenn er sich an die Worte n. erinnert und die Bilder. Denn voll war der Sand davon und es ist ein weiter Strand, der sich einmal um die halbe Insel zog, vorbei am Ende der Welt hoch oben, vorbei an einem steil abfallenden Hang aus grünem Tonmatrial, dann um die Spitze im Nordwesten herum zwischen Felsgeröll, weiter die große unbetretene Zone, die wir jetzt vor uns haben. Ich kenn Euch, sagt es von dort, und so haben sie sie geöffnet: die Ephemeriden.