CHOR

Auch Erfahrungen die wir uns scheuen zu machen lassen uns reifen, spätestens wenn man sie tatsächlich begeht; nämlich dann, wenn wir über die Gründe nachdenken warum wir uns ihnen verweigerten. So kann es mit der Kunst sein. Einem Werk gegenüber aufgeschlossen sein heißt nicht, es mögen zu müssen. Wir können aber kein Werk nicht mögen, das wir nicht kennen. Und kennen heißt nie, es studiert zu haben, kennen heißt auch, seinen Schatten wahrgenommen zu haben den das Licht anderer Werke von ihm wirft. Vielleicht werden wir sogar so lange etwas nicht wirklich hassen können, bis wir es ganz verstanden haben und die Tiefe des Gefühls dadurch begründen. Es ist beängstigend sich vorzustellen man müßte die schlechten Gedanken der Menschen zuerst aufnehmen, um diesen dann gleichgültig gegenübertreten zu dürfen; ataraktisch, aber auch gleichgültig im Sinne einer sie unbeachtet lassenden Teilnahmslosigkeit. Doch es wird wohl so sein und vorher wird man immer auch Regungen zeigen, die sich nicht vermeiden lassen. Solange versteht ihr niemanden ganz.

Wenn ich über die Kursive hinaus jemals etwas schrieb das nicht von mir stammte, dann war es von mir aufgeschrieben dh nicht geschrieben sondern mir zur Erinnerung im Text aufgehoben. Das ist nicht selten notwendig gewesen da mein Gedächtnis oder besser der im Kopf gelegene Bestand all dessen was ich je las stetig zunehmen mußte zum weiterschreiben. Die Maschine nahm mir ja die Kreation nicht ab sondern übernahm gerade ihre Objektwerdung. Diese Arbeit jedoch von jemand anderem leisten zu lassen der sich mit den Worten besser auskannte als sie fiel mir irgendwann ein. Ich hatte beim toten Polyhistor eines jener alten Geräte stehn sehn und wußte damals aber n. nicht wofür sie wirklich dienten. Also kellerten wir fast alles was nicht Schrift war aus der mit ihr eng gewordenen und den Büchern bis zu Decke gereihten Wohnung ein und erst später erkannte ich was ich dort eingelagert hatte: einen aus der ersten Generation stammenden Standardschriftprozessor von 1985. Kein wirklich bekannt gewordenes Ding denn die einen besaßen verzichteten darauf überhaupt von ihm zu sprechen. Auch ich wenn ich euch davon hier erzähle werde nicht den richtigen Namen nennen können, wer einen will wird ihn bekommen. Nur zu ihm will ich etwas weitergeben was ich in darauf gespeicherten Aufzeichnungen HBs fand. Vielleicht waren es auch nicht seine und waren n. viel früher darauf gekommen als HB es hätte niederschreiben können wenn er erst Mitte der 80er solchen Prozessors habhaft werden konnte. Die Sprache könnte seine gewesen sein, der Umgang mit den Worten als Zeichen lebendigen Daseins innerhalb der Sprache. Und dieser war soweit ich den Prozeß verstand nur mit seiner Hilfe möglich. Das Fluidum aus Wort, Gedanke und dem Textkörper darüber so zu bilden daß (—) eben nicht zu sich selber erstarrt sondern gleichsam weiterzufließen scheint ist das Vermächtnis seiner Erfinder, die notiert als N.U., als M.H., als F.M. Chiffren bleiben bis zu meinen Vorgängigen, die jene Initialen dann austragen dürfen. Kleist hat dazu einmal (und auch er wird genannt) in einem sehr kurzen Vortrage über “Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden” gesprochen oder sich verewigt bei Gadamer (Hölderlin/Heidegger) auf der einen und Gershom Sholem und Martin Buber auf zwei anderen Seiten.

Gesammelte Erinnerungen, die ich mit dem Staub aus dem alten Material schüttelte über das gebeugt ich schon drei ganze Wochen damit etwas zustande kommt in Meditation versunken bin; als wenn nicht längst sie sich eingestellt hätten hier und dort zwischen unter und neben den ewigen Zeilen und nur lesen müßte ich sie jetzt können statt nur sie mir immer wiederholen. Darin liegt zwar wenn es in stets demselben Rhythmus geschieht etwas sehr beruhigendes und man kann vieles darauf aufbaun,- jedoch kein wirklich beständiges Bauwerk. Und wenn der Zimmermann vom Dache seinen Spruch getan… von dort allein geht das Offene aus, das sich selbst gleichende Hehre um welches jeder Sängerkrieg aber auch jede Blutfehde ging, dann – Blut: Mond allein um Mund gelegt um stumm sich anzuschaun um stumm dir zuzuschaun.

Als ich mit fünfzehn Kilo auf dem Rücken und dem Jakobneunerstab in der rechten Hand meinen Weg auf dem Moselhöhenweg damit verbrachte mir eben jenes Reden das hier das rhetorische meinte heranzubilden im lebendigen Selbstgespräch und dabei zwar sehr langsam aber immerhin doch vorankam wußte ich, daß mir das alleinige Sprechen bald abhanden kommen würde für ein geläutertes Reden aus den wirklichen Gedanken heraus. Das mußte geübt werden und bedurfte einiger harter Zusammenstöße mit dem unbekannten Gegner doch hier stehe ich jetzt und wenn ich Kleist nach dieser Zeit und die Aufzeichnungen n.mal lese habe ich etwas mehr meiner eigenen Gedanken verstanden als schon durchgebildet scheint. Die Wortalchemie/mystik/kabbala welche danach stets ihre Wirkung zeigt da, wo wir sie lebendig fassen und gleichzeitig nichtfassen also freilassen können und nur ihren Weg beschreiben (wie zb den beschleunigter Teilchen); diese entspringt ja doch den urgemeinsamen Quellen von Hö/Hei/Gadamer (dessen Schüler HB dann schließlich auch mein Lehrer wurde), den “Studien”texten Sholems, den Excerzitien Loyolas bis wir und das schließt den Kreis zum vorigen Band schließlich bei Aristoteles und endlich auch den so glücklich begonnenen Vorsokratikern und ihren Selbstverwurzelungen fernab jeglicher Theologie enden. Was für ein Kreis? – Das war genau das Duell das sich die Schüler hier unter dem jüngsten Bruder (Benjamin) und dem jüngsten Großmeister (Stockton) lieferten als sogenannte “Prüfung zur höheren Tauglichkeit” eines der beiden die für die Aufnahme in den nächsten Grad vorgeschrieben war. Ich kann auch so ehrlich sein zuzugeben daß ich selbst die Prüfung zweimal nicht bestand und jemand anderen vortreten ließ. Aber zum dritten Gegner war die Rede flüssig geworden und der Geist befestigt, ihn schlug ich mit zwei Reden die mir aus dem Herzen kamen. Eine ging über meine geliebten W.(oyzeck?agner?eidenhaus?) und der zweite Protagonist war mir schon damals so vertraut obwohl sein Erfinder heute n. mein größtes Vorbild ist, das war der homo faber, der seinerzeit n. zur Schule gelesen ward…