402. Vorabend, Epitaph

  • Dunkel und tief
  • Herz umarmend, 
  • gehn wir voneinander weg. 
  • Was bleibt,  uns voraus 
  • und jenes Dunkel das wir mitnehmen 
  • aus dieser Welt in die andere 
  • ist keinem mehr , der damit umging; 
  • ist mir nicht der ich glaubte zu wissen 
  • näher als aller Rest von ungeglaubten Tagen: 
  • die man n. habe. 
  • Aber daß ein Rest da ist ahnt man, 
  • verliert sich vielleicht n. 
  • über Graden und Hoffnungen 
  • nicht Zeit;
  • ein wenig bleibt immer übrig…: 
  • von jedem Jahr eine Frucht, 
  • von jedem Baum ein Reis 
  • und in jeder Hand ein Wort 
  • das sich in ihr zuerst erkennt: 
  • So sollen wir nennen 
  • was vorher nicht war und jetzt ist, 
  • und wird 
  • weil der Augenblick es schenkt dem, 
  • ders nicht sehn kann 
  • und doch daran glaubt. 
  • Zuweilen tu ich es und werde belohnt.

Mal spricht Seamus im Schlaf. Wenn er nicht ein Ire und katholisch ist, glaube ich dann, einen alten und murmelnden Bartjuden vor mir zu haben, der mir zuhört und es gibt ein paar echte Barthaare an ihm, die vielleicht wirklich darauf hindeuten. Er rasiert sich ja nicht mehr richtig; für dn Tag der Verwendung nahmer ihn n.einmal auf 9mm Millimeter zurück, vor Jahren. Es ist also eine Menge Haar an ihm, das jetzt eine Weile wächst. Doch darum wird er nicht ärmer. 

  • jemand sagte einmal, sich nicht rasieren, bis der tote Freund unter der Erde war.

Nur hier hielt also die Totenrede (Hölderlin) und hatte mich zum ersten Mal wieder rasiert nach Jahren, in denen mir ein B. gewachsen war, wie ihn Väter wohl auf den alten Photos meiner Kindheit. Aber heute trage ich Seamus drei Tage lang. Der ist rot und ein wenig immer wie ein Brennen auf den Wangen. Aber der arme alte Freund, zu dessen Totenfeier ich ging einfach gekleidet und dunkel, schwarz und grau, ohne Hut, ohne Binde, bin ich gegangen und unter den Leuten gestanden, nachdem die Worte verhallt in der kaltkalten Kapelle neben dem Cello mit den Bachsuiten, dann treten wir raus und sind die letzten beiden, dem Sarg zu folgen, den Leuten. Ihn also sehe habe ihn also nicht gesehen und des Aktes. Nur, daß ich irgendwann an der Reihe Erde zu werfen und innezuhalten, das weiß ich n. genau. Und die Schwere, und eine Schwester, die mit H. Levin sprach, die starb n. im selben Jahr. Wir sollten, er solle brennen, denn wir seien Fackeln mein Bruder. Oder er wäre nicht gewesen. Aber da ich jetzt Seamus dir davon erzähle, kann es nur sein, daß wir ihn kannten, und du, Thomas also: aquinater Zwillingsbruder, der du dein Los nicht und nicht abwerfen willst, so weit weg wir dich auch geführt haben in unseren Gedanken, du lernst ihn jetzt auch kennen. Es geht uns immer alles rückwärts verloren, wenn wir nicht aufpassen. Aber dorthin ging bisher alles und was dann verliert, ist nun uns sicher und besiegelt. Sonst hätten wir es nicht gehen gelassen; es sind ja nicht nur unsere eigenen Erinnerungen, sondern da hängt eine ganze große Geschichte dran von Menschen, die wir nur trafen oder sahen, aber was sie an uns hinterließen, war prägend und wirksam. Ein bißchen Schuld auch,  falsche Eingeständnisse, die von hier aus logisch erscheinen mochten, waren es aber nicht immer. Aber ebensolche Augenblicke sind trotzdem passiert, weil ich mich ja wirklich an sie erinnere laut der vor sich hinwachsenden Zeilen. Die Abstände, Zeichenabstände und Schriftgrad: das läßt sich später festlegen und für jetzt ist nur wichtig, daß genug Licht ist, zum tasten und für den Wechsel der schwarzen Plattenseite und eine Kanne voll Tee(melissen). Ich sitze gerade aufgerichtet. Hier ist alles jetzt eins.