2. Anto”ne

a.

– ob es ihn wirklich gab? 

– wir sind uns nicht einig darüber, es deutet aber alles darauf hin wenn du mich fragst.

– warum sollte er hierher gekommen sein?

– es war an der Zeit, einfach es war zeit dafür und das wußte er. Die unendlichen Gewitter haben aufgehört und der Schneefall begonnen. Es war die richtige Entscheidung, herzukommen.

– wie soll ich ihn anreden?

– von uns wurde er damals nur der Alte genannt; Jean nannte ihn Smithson. Sein Name ist nicht wichtig aber wenn du ihn brauchst: für dich wird er Anto”ne heißen. Wie du das aussprichst ist deine Sache.

– es gab schon mal so jemanden glaube ich, das war n. vor deiner Zeit. Ich habe jedoch vergessen, wo der hin ist. 

– ich kann dir helfen: es war Anton, der dich daran erinnert, wie wir hier saßen dicht aufeinander weinende Protagonisten mit nichts als unserer schäbischen Bezeichnung, keine Kleider, keine Eigenschaften keine Bedeutungen die über das Symbol hinausgingen. Wir sind sechs oder sieben gewesen und wurden immer nur die Anderen genannt. Bis wir uns trennen konnten von der Geschichte, dann waren wir eigene Figuren. Es gab aber nichts mehr was uns hielt, und so begannen wir erneut in den Schriften nach uns zu suchen damit wir Zeugnisse hatten unserer Existenz. Damit brachten wir die nächsten Geschichten ins rollen und immer so weiter bis heute, wo es nun die erste Gelegenheit gibt mit ihm, dem Schöpfer, in Kontakt zu treten. Du wirst ihn zu dir bitten, wenn ich dir das Zeichen gebe seines Namens. 

  • ja, werde ich.
  • Fangen wir also mit den Vorbereitungen an. Wir haben die Wörter gezählt und die Zeichen und den Quotienten gebildet nach Abzug der Leerstellen. Was kam als nächstes?
  • die Pfeiler. Jeder bekam nun eine geheime Bezeichnung in welcher sich ablesen ließe, wie er sich zum Fundament verhält. Oft ist sie nicht mehr zurückzuverfolgen, da müssen wir dann ausweichen auf eine zufällig vom Schriftprozessor vergebene Adresse, die die tatsächlichen Eigenschaften vertritt.
  • Haben wir sie ermittelt, können wir nun versuchen, die Sprache festzulegen. Sollte es deutsch sein?
  • vielleicht ist es besser, die Muttersprache anzunehmen für dieses System. Die wäre irgendwo zwischen deutsch/französisch/mhd, aber die Motivation liegt auf dem Deutschen.
  • Damit ist der Interpreter eingerichtet und folgt der Standardschrift. Wie lautet ihre Bezeichnung? 
  • Line Printer_IBM. Aber das läßt sich jederzeit n. ändern, es ist nur für uns hier wichtig, weil wir ja etwas ablesen müssen. Wie es aufs Papier übertragen wird soll dich nicht weiter kümmern, in jedem Fall wird aus der Rasterschriftart eine relationale werden und die derzeit farbigen Formatierungen in absolute umgesetzt. 
  • Was ist mit den dateirelevanten Angaben zu Beginn der Schrift?
  • sie werden ebenfalls aus dem Manuskript getilgt und ausgeführt. Sie stehen nur in prima, für die anderen wird es sein als hätte es sie nie gegeben. Entspricht das deinen Vorstellungen?
  • Ja, nur, daß ja einiges davon wichtig wäre an den Leser zu übergeben um sich in der Hierarchie zurechtzufinden. Können wir einen Kompromiß machen und eine Umschrift der Dateianweisungen in lesbarer Sprache dort einfügen, wo Erklärungen benötigt werden weil man sonst vom Interpreter fehlgeleitet würde?

Handlung des Thomaszwillings erfolgen und zwar: Sehn wie der Mond halb eine weitere Schleife bis zum nächsten Schornstein zu drehen hat, das sind dann vielleicht n. zwei Stunden und er dürfte sie lange wachbleiben. Vielleicht vermeidet trotzdem die Infinitive wenigstens dort wo er schon gelernt hat zu beugen, da war er mir schon voraus.

Zurückstauchen war nun das Wort das einmal einer gebraucht hatte als er von Kafka erzählte und es war mir auch vorgekommen wie von W. Borchert, der nämliches schrieb in späterer Zeit. Ich selbst stellte mir meine Belange nicht so gegenwärtig vor daß etwa die Eltern genannt oder genauer der Vater der die Kinder in den Boden zurücktritt wenn sie sich etwas vorgewagte hätten. Also lernte ich wohl, in der Passage der Notwendigkeit meiner Geschichten zur Schwere hin mir das immer zu erarbeiten was sie schließlich nach mir in die Welt kommen ließ: sie wurden wesentlich, so wie es hieß (Angelus Silesius): Mensch werde wesentlich. Denn wenn der Mensch vergeht, so fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht. Mir ist es wichtig geworden als so zu wiederholendes Motto über den Schriften, denn die nahm ich sehr ernst. – Ich wollte aber gegen das Zurückstauchen etwas schreiben.

Viele Male schon war ich mit meinen Worten zu ihm gelangt (HB) und wußte nicht mehr mir sein dazu Schweigen anders zu erklären als daß ich ihn nicht erreichte. Etwas sagte aber mir ganz sicher, daß er mich vernahm und selbst er wäre dort drüben taub für jegliche Dichtung geworden so waren wir ja einmal so übereingekommen daß die Dichtung Wahrheit sei und auch wenn er für alle anderen Wahrheiten zugeschlossen worden wäre, meine müßte ihn immer n. ankommen – denn ich vernahm ja seine ebenso: die längst aus dem Leben gezogenen Schriften. Und vielleicht nur, weil wir dieses beide wußten konnte überhaupt in der Vergangenheit das entstehn, was schließlich seine Entdeckung wurde; die er mir nie zugab, von der mir nie auch nur eine Idee kam bevor ich nach seinem Tod das Archiv übereignet bekam. Ich weiß n. sehr genau wann ich zum ersten Mal mit der Theorie in Berührung kam. Es war eine schon sehr dunkle Spätsommernacht am Uurainen in Finnland wohin ich die Jahre über Berlin zu dieser Zeit regelmäßig verließ und auch dann wären die Fische geköpft, die Pilze geputzt und das Wasser getrunken worden drei Monate lang, und es wurde allg. dunkler und man sah also Sterne. Sitzend da und hinausroch auf den See vor der Hütte und ich werde nicht mehr müde weil sein Wasser einen wachbleiben läßt gegen alle körperlichen Stimmungen höre ich eine Cellomusik auf dem Kopfhörer (Atterberg) vielleicht nur weil damit gerade er wachgerufen ist, der das Cello so liebt und ich an ihn denken muß der in Berlin krank ist; denke jedenfalls über einen kryptischen Satz nach den er mir später vonjemandem hinterlassen wird und den ich über seine ersten Schriften setzen werde: Was wir haben haben wir nicht aus uns, was wir sind, sind wir nicht aus eigenem; wenn wir dies, nur dies endlich lernen würden. Da tritt ein Funke in mich ein den ich irgendwie erahnte als ich in die Sterne hinaufschaute aber ich habe ihn trotzdem nicht kommen sehn. Aber der Satz, der sich da plötzlich aufbaute gegen diesen ungeheuren Himmel, gegen diesen Weltraum, der machte ihn ganz klein. Denn ich stand auf und konnte mich erheben in ihn und ca. denken: da ist ja nichts über mir, das mich vor ihm schützt, das mich von ihm abhält, das mich von ihm zurückweisen kann. Ich stehe ja mitten darin mit meinen 1,78m über dem Erdboden und nur was mich davor schützt in ihn hinauszutreiben, ist meine innerste treibende Kraft die in jeder Zelle so tätig sei wie in jenem Raum der sich da an meinem Gesicht schon mir entgegenbreitet. Ich kann also hoch und meine Hände ausstrecken auf einen der Sterne zu und warte nur eine Weile dann bin ich bei ihm. Aber wie will man dieses denn verkraften daß da nichts ist zwischen uns, zwischen mir und dem Stern und zwischen mir und dem gewaltig sich ausdehnenden Schwarz in alle Richtungen…– Das war der Moment wo mir aus seinen Worten zum ersten Mal eine Ahnung von der kleinen Kraft zuteil wurde die unser eigen ist um mit dem was uns umgibt irgendwie zurechtzukommen. Er hatte ihr dann auch irgendwann einen Namen zugeteilt unter seinen Entdeckungen und weil es seine letzte sein sollte und die kleinste unter allen aber wesentlich: eine unter Schmerzen errungene und denn. nur die eine zurecht genannte nach ihm, dem großen unserem schließlich gemeinsam gewonnenen Vordenker den sie alle jetzt ruhig erfahren können – sie würde tatsächlich auf W.B. recurrieren; nur, daß ich es jetzt selbst n. gar nicht wußte, weil ich sie n. nicht zum Ende erkannt habe. Ich werde mich dann weiterhin davor hüten Gemeinsamkeiten zu suchen und über B. nur sekundäres mir zu erfahren gestatten (Sholem) bis es vielleicht unvermeidlich ist doch einen Blick in sein Werk zu tun um nicht allen Vermutungen der anderen die mit mir dieses schreiben völlig schutzlos ausgeliefert zu sein, ahnungslos. Aber dieses später, denn morgen sind die Toten und das sind Geschichten von morgen und das ist der nächste Tag. Morgen war immer der nächste Tag. Das kann ein ganz schön stauchen.

Also wie der Donner. Ich lausche. Jemand übersetzt, das geht jetzt sehr schnell, der hat die Sprache gelernt und seinen Wortschatz erweitert. Oft genug ist es nur ein Zittern im Boden, doch auch das wird richtig gedeutet. Woher weiß ich das? Es ist einfach: das Klirren der Scheibe bleibt aus, die sich zwischen den Hälften Ost und West des Gebäudes befindet. 

Vielleicht aber wurde sie auch schon für ewig zerschlagen und nur ich weiß es n. nicht? Es ist möglich und hier trennten sich unsere Wege. Ich folgte dem rechten, der hinter die Tür führen sollte. thomas aber, der zwilling genannt wird, also der zweite der Zwölf, machte seine Hände offen sehen bevor er eine Taube darin verschwinden ließ. Ein simples Kunststück. Aber es brachte ihn der Wahrheit über die Scheibe näher und die Angst ging verloren. Wenn er solche Dinge vermochte, war ihm zu glauben…: an irgendetwas mußten sie glauben.

Das war das Gesicht, dem ein Tod zu lang die Schlinge hingehalten hat. So, daß er (hier: Gottfried?) es in jedem Moment erwarten mußte, von seinem Lager aufgehoben zu werden an der einen Hand, die ihm n. geblieben war und in der nicht mehr die Kraft steckte, ein Nein! zu bedeuten, nein! den Herannahenden, nein! allen Zuschauenden und ewig Dankenden und den verfluchten Kindern der Kinder. Wo wäre die Erinnerung an sie zu suchen? Er ertrug sie nicht mehr, schleppte alles fort mit sich in den Partikeln des letzten Atemzuges. Der saugte doch n. einmal an der Weltgrenze, bis er sicher war, diese Erde sei keine Scheibe aber sicher sein? einmal sicher sein und nicht mehr? aber dieses eine Mal… unwiderrufbar und dann sollte sich darauf sein Glauben gründen, statt auf der Angst vor dem Feuer oder Wasser, das ihn irre macht, weil es die Molekülstrukturen seines Gehirns verändert. Es spricht mit ihm, ist wie Rauschen im Gebiet um den neunten Planeten. Längst konnten wir auch das nicht mehr hören, aber es hat eine unleugbare Wirkung. Vielleicht stoßen wir ihm das Tor zu früh auf? Doch er muß die Höhle vor dem Zwilling betreten.

Ich kann nur dafür sorgen, daß er dort das Rauschen hört. Es gibt nur diese eine Möglichkeit, dann, wenn der Widerstand der Tür am geringsten ist. Doch er darf den Zeitpunkt nicht verpassen und der Engel muß bereit sein, vor allen Dingen der Engel… 

Wir öffnen unsere Pforte für einen kurzen Augenblick, damit er aussteigen kann. Vielleicht ist es einer der letzten Boten, die wir hinauf lassen dürfen. Es ist selten notwendig geworden, doch ab und zu gibt es eben einen Grund. Den darf auch Er nicht verneinen. Aber da sind Tendenzen, die ihn dazu bringen, sich abzuwenden. Es gab zu oft Gefallene, die sich, aufgetaucht als geläuterter Mensch, nicht mehr erinnerten an ihren Auftrag, mit dem wir sie geschickt hatten. Nicht mehr erinnerten aus Scham jedoch, die sie empfanden für ihre Sendung und verleugneten lieber, was sie doch zutiefst wissen und spüren mußten, lieben und davon leben. 

Aber dann plötzlich: war da ein Johannes, der alles verraten hatte. Und jetzt das Feld aufspannt zwischen den zwei Konsonanten. Die Kraft ist flüchtig, so wie ich vor dem Mitmurmeln fliehe. In ein anderes Gebet.